Kim engagiert sich für Kunst und Kultur in ländlichen Räumen
Der Freiwilligendienst in Rostock brachte Kim Marie Nagel gleich zu Beginn eine wichtige Erkenntnis: Sie war mit ihren Interessen bei weitem nicht alleine und sie sah, dass Kunst und Kultur durchaus „etwas Vernünftiges“ sind. Etwas, das noch viel mehr Sichtbarkeit braucht.
Den für sie richtigen Freiwilligenplatz für sich hat Kim nicht auf Anhieb gefunden. So schlug sie erst einmal einen anderen Weg ein. „Es war eine Bauchentscheidung“, sagt sie. „Ich habe erst mal gekellnert. Aber bald merkte ich, dass ich ein bisschen mehr will.“ Sie hatte Glück. Von der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Mecklenburg-Vorpommern kam eine Nachricht, dass es einen freien Platz bei der Volkshochschule (VHS) in Rostock gibt. Und so begann im November dann, was Kim rückblickend eine „lebensverändernde Erfahrung“ nennt. Als sie bei ihrem ersten Seminar auf die rund sechzig Freiwilligen* ihres Jahrgangs traf, war sie zunächst unsicher. Für die anderen war es bereits das zweite Seminar, sie war die Neue und wusste nicht recht, wer oder was sie dort erwartete. Doch ihre Sorgen waren unbegründet: Sie traf auf Gleichgesinnte, die sich alle genauso für Kunst und Kultur begeisterten wie sie. Diese Erfahrung eröffnete ihr neue Perspektiven, zeigte ihr eine Welt jenseits des Schwarz-Weiß-Denkens. „Die beste Woche meines Lebens“, erzählte sie hinterher ihrer Mutter. Und so entfachte der Freiwilligendienst etwas in ihr, das sie dorthin brachte, wo sie heute steht.
Dass sie so empfand, ist nicht selbstverständlich: Sie komme aus einem kleinen Dorf, erzählt sie, habe sich schon immer für Musik und Kunst begeistert, wollte gerne professionell Musik machen. Doch die Erwachsenen um sie herum sagten den Satz, den viele Jugendliche zu hören bekommen: „Mach doch lieber was Vernünftiges.“ Doch so ganz wollte sie ihren Wunsch nicht beiseiteschieben und so schien die Volkshochschule, die dann zu ihrem Einsatzplatz wurde, ein guter Kompromiss zu sein: eine kulturelle Einsatzstelle, aber mit dem Flair von „etwas Vernünftigem“, schließlich ging es ja um Bildungsarbeit. Dort unterstützte sie administrativ und knüpfte enge Kontakte mit den oft gleichaltrigen Teilnehmer*innen im Haus.
Kulturelle Bildung ist wichtig
Kim mochte die Aufgaben in der VHS. Und noch viel mehr: Sie fing an, sich für das zu interessieren, was hinter all der Arbeit steckt. „Kulturelle Kinder- und Jugendbildung war für mich ein ganz neuer Begriff. Ich habe gemerkt, dass es eine viel zu wichtige Sache ist, die Vielen noch nicht so präsent ist. Gerade auch in den Schulen. Da muss man doch noch mehr machen können“, dachte sie sich. Durch den Freiwilligendienst hatte sie von Anfang an viel Kontakt zum Träger, zur LKJ Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeit des Teams der LKJ hat sie sehr beeindruckt: „Die stehen zu 100 Prozent hinter dem, was sie tun.“ Gleichzeitig machte es ihr Spaß, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sie mochte. So wurde sie nach ihrem eigenen Freiwilligendienst Co-Teamerin und unterstützte bei den Seminaren. Und dann? Dann wurde Kim schließlich im Februar 2023 zur Vorsitzenden der LKJ gewählt.
Neues Bewirken: Junge Themen in die Strukturen bringen
Im Gespräch mit Kim wird schnell deutlich, wie sehr die Studentin für das Thema Kulturelle Bildung brennt. Dass sie als junge Frau Vorsitzende eines Landesverbandes ist, empfindet sie als Pluspunkt. Schließlich sei es notwendig, dass junge Menschen sich engagieren. Viele Vereine und Verbände haben das Problem, Nachwuchs zu finden. „Was junges Engagement bewirken kann, ist Veränderung, Fortschritt und Beteiligung.“ Denn: „Begeisterte Leute schaffen neue Begeisterung“.
Als Studentin ist Kim nah an der Zielgruppe, sie kann gut einschätzen, was Jugendliche bewegt. Sie meint, es fällt ihr leichter „den Funken überspringen zu lassen“. In Sachen Vernetzung unter Jugendlichen weiß sie, dass dies ganz anders funktioniert als es das übliche Verbandshandeln hergibt. „Die machen mehr Mund-zu-Mund-Propaganda“, bei der die Sozialen Medien natürlich eine essenzielle Rolle spielen. Doch mache sie sich auch für den intergenerationalen Dialog stark. Das ist wichtig – nicht zuletzt im politischen Diskurs, wo sie noch viel Arbeit sieht, um Kulturelle Bildung sichtbarer zu machen. Und mit Schulen müsse es mehr Kooperationen geben, besonders im Hinblick auf den Ganztag. Es stehen also große Aufgaben an, die in Angriff genommen werden wollen.
Mecklenburg-Vorpommern ist dabei als Flächenland ohne Großstadt ‒ Rostock ist mit gut 200.000 Einwohner*innen die größte Stadt ‒ etwas Besonderes: Gerade in ländlichen Räumen steht die Sichtbarkeit Kultureller Bildung vor großen Herausforderungen. Es gibt geringe Vernetzungsmöglichkeiten und es ist schwieriger, junge Menschen zu erreichen. Kein Wunder, dass Kim dieses Thema besonders wichtig ist. Deshalb sieht sie auch den zukünftigen Schwerpunkt der Verbandsarbeit im Online-Bereich. Besonders Instagram und TikTok seien die Plattformen, die Hürden überbrücken könnten. Dabei gelte es jedoch, strukturelle Hürden zu meistern: „Die technische Ausstattung, Funklöcher im Mobilfunknetz, schwache Internetverbindungen, schlechter ÖPNV, zu wenig Ressourcen, zu wenig Geld.“ Mit diesen Schwierigkeiten haben ländliche Räume besonders zu kämpfen. Doch lässt sich Kim nicht entmutigen.
Neben infrastrukturellen Fragen ist die Mitbestimmung junger Menschen für Kim eine Herzensangelegenheit. Lassen sich Hemmschwellen zur Beteiligung senken, etwa durch Kontaktangebote über Social Media? Wie können die Familien adressiert werden, sodass der Mehrwert für alle sichtbar wird? Es gebe viele Ansatzmöglichkeiten, so Kim. Auch bei den Freiwilligendiensten wünscht sich Kim Verbesserungen: Die Teilnahme an einem Freiwilligendienst sei oft abhängig von der finanziellen Situation der Freiwilligen*. Ziel müsse es aber sein, eine Teilhabe für alle Interessierten zu ermöglichen.
Alles ernste und wichtige Themen, die Kim angeht. Und was ist aus dem Rat geworden „Mach doch lieber was Vernünftiges“? Kim weiß: „Kulturelle Kinder- und Jugendbildung ist was Vernünftiges! Das ist genauso wichtig wie alles andere. Deshalb ist das für Menschen, die genauso denken, lebensverändernd: Niemand ist allein und alle gehören dazu. Es muss ganz stark gefördert werden, sodass jede und jeder einen Platz findet. So wie es für mich war: Ich habe meinen Platz gefunden.“